Silvia Klara Breitwieser
Bildende Künstlerin / Visual Artist
Tücher sind Gewebe, sind Zusammenfügungen. Das Wort textil kommt von lat. textus=Gewebe, Geflecht, Verbindung, Zusammenhang. In ihrer Beschaffenheit haben Tuche Ähnlichkeit mit den Geweben, aus denen der menschliche Körper besteht. Es gibt eine deutliche Affinität zur Körperoberfläche, der Haut.
 
Es geht mir um Beziehungen, vor allem um die Beziehung zwischen den Menschen und den lebensnotwendigen Dingen von Menschenhand. Seit langem beschäftigen mich Tuche und Tücher. Sie sind körpernahe Menschendinge. Die Menschen sind darauf angewiesen.Tuche sind mir Symbole ihrer Bedürftigkeit.
 
Entsprechend ihrer weichen Beschaffenheit verhalten sich die Tücher. In ihrer Weichheit und Anpassungsfähigkeit können sie sich mit Körpern hautnah verbinden. Sie brauchen die Verbindung.
 
Sie schützen, hüllen ein und umgeben, aber sie sind selbst schutz- und umgebungslos. Sie sind immer Ober-Fläche ohne eigene Körperlichkeit. Ihre plastische Energie ist gering. Ohne Körpergerüst und "Rückgrat" sind sie zudem weich, schmiegsam, widerstandslos, unbegrenzt formbar, aber auch beliebig manipulierbar.
 
Durch die Versteinerung der Tücher geschieht eine spürbare, greifbare und augenfällige Veränderung, eine Umkehrung der gewohnten Eigenschaften, eine Qualitätsveränderung. Die Bewegung der Tücher in der Zeit wird angehalten.
 
Die Steintücher sind hart statt weich, fest statt modellierbar, rauh statt glatt, fassen sich kühl an statt warm und sind "geräuschvoller" als die leisen Textilien, und in ihrer neuen Dinglichkeit widersetzen sie sich. Einige Tücher richten sich auf, wählen zwischen Horizontale und Vertikale. Selbstständig geworden sind sie jetzt eher Gegenüber als Umgebung - nicht mehr nutzbar, nicht mehr verbrauchbar, der Wegwerfgesellschaft entronnen, der Vergänglichkeit entgegengestellt.
 
Silvia Breitwieser Marburg/L., 1976